Bewegung als evidenzbasierte Intervention in der onkologischen Rehabilitation

14. Juni 2017 | App, Medien & Presseberichte

Beitrag aus dem Magazin Medtropole, Ausgabe 44, März 2017; von Privatdozent Dr. Thomas Widmann

Körperliche Bewegung kann bei Tumorpatienten das Rezidivrisiko nachweisbar deutlich senken. Daher ist sie eine wichtige Säule in der onkologischen Rehabilitation. 

Die Kernaufgaben der onkologischen Rehabilitation beziehen sich traditionell auf den Erhalt der Erwerbsfähigkeit und der häuslichen Selbstständigkeit. Wesentlicher therapeutischer Bestandteil ist, neben der medizinischen Versorgung, die funktionelle Verbesserung von Einschränkungen der Erkrankung oder eine angemessene Krankheitsverarbeitung zu fördern und auf eine gesunde Lebensweise hinzuwirken. Dieser allgemeine und zugleich umfassende Ansatz erlaubt einen großen Interpretationsspielraum mit der Möglichkeit der Nutzung evidenzbasierter Therapieprinzipien der (Tertiär-)Prävention.

Bewegung senkt die Krebsrückfallrate

Dieses Konzept wurde im Jahr 2006 erstmals anhand von Darmkrebspatienten im Stadium II und III (Dukes) nach Operation gezeigt. Während einer adjuvanten Chemotherapie und nachfolgend zeigte sich im Beobachtungszeitraum eine Absenkung der Rückfallrate um 49 % in der Gruppe von Patienten, die ein Bewegungsniveau von mindestens 18 MET-h (MET: metabolic equivalent of task) erreichten. 1 MET-h beschreiben dabei das jeweilige Vielfache des Energieverbrauchs eines Menschen im Vergleich zum Ruheumsatz pro Stunde und werden nach einer international üblichen Tabelle erfasst, die 804 verschiedene sportliche Aktivitäten enthält.

Abb. 1: Vergleich verschiedener Bewegungsformen hinsichtlich des Energieverbrauchs in MET-h

Im weiteren Verlauf zeigten mehrere große Studien zum Mammakarzinom2–4 ähnliche Ergebnisse, und im Jahr 2011 erschienen 2 größere Studien zum Prostatakarzinom, die eine Absenkung des Progressionsrisikos um ca. 50 % bei entsprechender sportlicher Betätigung zeigten.5, 6 Im Jahr 2016 erschien eine Metaanalyse zum Thema, die insgesamt 71 Studien mit 3,9 Millionen Patienten umfasste.7

Die Ergebnisse zeigten umfassend sowohl einen Effekt der Vermeidung von Krebserkrankungen durch Bewegung bei bislang gesunden Menschen als auch den oben beschriebenen (tertiärpräventiven) Effekt der Verbesserung der Prognose durch ein regelmäßiges Bewegungsprogramm nach einer Krebserkrankung. Zusammenfassend kann somit festgestellt werden, dass ein Bewegungsniveau von 1 Stunde mittlerer Anstrengung pro Tag das Krebsrückfallrisiko um ca. 40 % senken kann.

Abb. 2: Absenkung des Risikos, an einer Krebserkrankung zu versterben, in Abhängigkeit vom Maß an Bewegung (modifiziert nach Li T7)

Evidenzbasierte Bewegungstherapie in der onkologischen Rehabilitation

Diese für Patienten unschätzbar wertvollen Daten zum Thema Tertiärprävention nach Krebserkrankungen erreichen jedoch betroffene Patienten oft unvollständig.

Als Modellprojekt wurde daher innerhalb der onkologischen Rehabilitation in der Asklepios Klinik Triberg ein Konzept erstellt, welches auf folgenden Grundsätzen beruhte: Information, Visualisierung, Anleitung zur Bewegung und Motivation/Feedback.

Wissenschaftlich begleitet wurde das Konzept „Bewegung nach Krebs“ durch die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg im Rahmen der SENSe-Studie (SENSe: Strukturierte Evaluation der Nachhaltigkeit von Sport nach Krebs) mit den Fragen:

  1. Ist es Patienten in der onkologischen Rehabilitation möglich, ein prognostisch relevantes Bewegungsniveau zu erzielen?
  2. Kann das Bewegungsniveau von Patienten in der onkologischen Rehabilitation durch eine strukturierte Information und Schulung nachhaltig gesteigert werden?

Die SENSe-Studie rekrutierte insgesamt 300 Patienten und erfasste alle Bewegungsaktivitäten vor, während und nach der onkologischen Rehabilitation. Als Intervention erfolgte am Ende der Rehabilitation eine Aufteilung der Gruppen in eine Experimentalgruppe (diese erhielt einen strukturierten Trainingsplan für die Zeit nach der Rehabilitation) und eine Kontrollgruppe (Empfehlung, das in der Reha Erlernte selbstständig fortzusetzen). Als Ergebnis der SENSe-Studie konnte festgehalten werden, dass (1.) Patienten während der onkologischen Rehabilitation ein prognostisch relevantes Bewegungsniveau erreichten und (2.) Patienten nach onkologischer Rehabilitation nachhaltig ein prognostisch relevantes Bewegungsniveau fortführten.

Die SENSe-Studie zeigt erstmals, dass neben den Grundsätzen der medizinischen Rehabilitation auch neuere, evidenzbasierte Konzepte aus der Nachsorge onkologischer Erkrankungen erfolgreich durch onkologische Rehabilitation gefördert werden können. (8)

Abb. 3: Bewegungsniveau von Patienten vor, während und nach onkologischer Rehabilitation (SENSe-Studie)

Digitale Lösung: „movival – Aktiv gegen Krebs“

Die Asklepios Klinik Triberg hat die Ergebnisse der SENSe-Studie zum Thema Bewegung nach Krebs in die tägliche Routine der Patientenversorgung übergeführt und geht zukünftig noch einen Schritt weiter:

Sämtliche Hintergrundinformationen zum Thema Bewegung nach Krebs sowie die heute vorhandenen Möglichkeiten, Bewegungsprofile automatisiert am Computer oder sogar am Smartphone zu erfassen, verbunden mit der zusätzlichen Möglichkeit der Mitteilung aktueller medizinischer Information, wurden im Rahmen des Projekts „movival – Aktiv gegen Krebs“ als interaktiver Bewegungsplattform für PC und mobile Endgeräte entwickelt. Kernelement ist die Visualisierung des Bewegungsniveaus für jeden Patienten im Abgleich mit prognostisch relevanten Bewegungsempfehlungen. Das movival-Projekt wurde zusammen mit der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Medien Offenburg und mit Patienten der Asklepios Klinik Triberg funktionell getestet; es ist speziell auf die Bedürfnisse von Krebspatienten, auch im fortgeschrittenen Lebensalter, ausgelegt.

Abb. 4: Bewegungsplattform „movival – Aktiv gegen Krebs“

Als wichtiges psychologisches Momentum hilft das Konzept „Bewegung nach Krebs“, in Zusammenschau mit der Bewegungsplattform „movival – Aktiv gegen Krebs“ (www.movival.com; auch für iOS und Android verfügbar), den Patienten dabei, eine passive und eventuell hilflose Position zu überwinden und aktiv etwas für die Verbesserung ihrer Prognose zu tun. Dabei ist das Konzept „Bewegung nach Krebs“ nicht als Ersatz für eine regelmäßige onkologische Nachsorge zu sehen, sondern als sinnvolle Ergänzung.

Im Dezember 2016 erhielt Herr Privatdozent Dr. Thomas Widmann den Reha- Zukunftspreis vom Bundesverband Deutscher Privatkliniken und vom Institut für Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen für die Entwicklung des Konzeptes „Bewegung nach Krebs mit digitaler Nachsorge movival“.

 

Literaturnachweise

  1. Meyerhardt I et al. J Clin Oncol. 2006 Aug 1;24(22):3535-41.
  2. Holmes MD et al. 2005 May 25;293(20):2479-86.
  3. Holick CN et al. Cancer Epidemiol Biomarkers Prev. 2008 Feb;17(2):379-86.
  4. Sternfeld B et al. Cancer Epidemiol Biomarkers Prev. 2009 Jan;18(1):87-95
  5. Richman EL et al. Cancer 2011 Jun 1;71(11):3889-95
  6. Phillips SM et al. J Cancer 2015 Sep;9(3):500-11
  7. Li T et al. Br J Sports Med. 2016 Mar;50(6):339-45
  8. Widmann T et al. submitted

 

Anhang: Tätigkeit/Sportart MET-h

Hausarbeit: 3,5

Rasenmähen: 6,0

Spazierengehen: 3,0

Walking: 5,0

Jogging:  8,3

Fahrradfahren: 4 bis 8,5

Schwimmen (Brust): 5,3

Langlauf: 6,8

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